Interview mit Matt Ball (deutsch)

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(Januar 2010)

Matt Ball ist der Vorstand und eines der Gründungsmitglieder von Vegan Outreach.

1) Seit wann sind Sie schon vegan und warum wurden Sie vegan?
   

Ich wurde in den späten 1980er Jahren Vegetarier, beeinflusst von meinem Mitbewohner Fred. Vegan wurde ich ein oder zwei Jahre später, nachdem ich Mark getroffen hatte, den ersten Veganer, den ich persönlich kennen lernte.

 

2) Viele vegane Aktivisten und Organisationen (auch Vegan Outreach) sagen, dass vegan zu werden oder unseren Konsum von Tierprodukten einzuschränken direkt Leben rettet. Stimmt das wirklich? Wird nicht durch Subventionen die Anzahl der Tiere, die getötet werden, künstlich hoch gehalten, auch wenn die Nachfrage sinkt?
Subventionen können Einflüsse auf den Markt verzerren aber nicht ausschalten. Aufgrund von Veränderungen im Konsumverhalten der Menschen ging die Zahl der Tiere, die getötet werden, viele Jahre lang ständig nach oben. Gleichermaßen gab es vor kurzem in den USA einen Rückgang bei der Zahl von Landtieren, die für Nahrungsmittel getötet werden – trotz weiterhin bestehender Subventionen. Wir haben einen Text speziell dazu: Does Being a Vegetarian Really Save Animals?


 

3) Vegan Outreach konzentriert sich darauf, an Colleges Broschüren zu verteilen und Sie schätzen das ca. 1-3% von denen, die eine Broschüre mitnehmen, ihre Ernährung dann verändern wird. Können wir diesen Prozentsatz irgendwie erhöhen, vielleicht dadurch, dass wir uns auf verschiedene und offenere Zielgruppen konzentrieren oder indem wir gruppenspezifisches Material verwenden?
Es ist immer ein Kompromiss zwischen Kosten und spezifischer Genauigkeit (und Ausführlichkeit). Wir könnten z.B. farbig gedruckte Bücher verteilen. Aber wir könnten uns nur ein hundertstel von denen leisten. Oder wir könnten viel mehr Schwarz-Weiß-Flugblätter (statt der Farbbroschüren) verteilen. Aber die hätten dann nicht so viel Einfluss auf die Menschen, so dass diese sich dann nicht wirklich verändern würden.


Alles unterliegt einer Kosten-Nutzen-Analyse. Vegan Outreach hat z.B. ein „musikspezifisches“ Cover, um im Sommer bei der Warped Tour Broschüren zu verteilen, und wir haben sowohl die Broschüre Even If You Like Meat als auch die Broschüre Compassionate Choices zum Verteilen. Aber wir müssen einsehen, dass es keine magische Botschaft gibt, die jede und jeden bewegen wird. Wir müssen die erreichen, die willig sind, sich zu verändern, und wir müssen einsehen, dass das nur ein Prozentsatz der Leute sein wird, egal welche Taktik oder Botschaft wir verwenden werden. 





4) Neue Zahlen zeigen, dass ca. 2% der US-amerikanischen Bevölkerung sich vegan ernähren (Honig nicht mitgerechnet). Ich nehme an, das ist der höchste Prozentsatz der Welt. Ist das die Arbeit von Vegan Outreach? Wie können andere Länder diese Zahlen erreichen?
Ich weiß nicht, ob die USA den höchsten Prozentsatz haben. Vielleicht ist er in Großbritannien höher. Ich weiß, dass die Arbeit von Vegan Outreach viele Leute verändert und dass diese Art von Aufklärungsarbeit wirklich wichtig ist, um die Zahl der Menschen, die sich mitfühlend ernähren, zu vergrößern. 


Die USA könnten vielleicht ein gutes Beispiel dafür liefern, wie wichtig es ist, den Fokus unseres Aktivismus zu verändern. Viele Jahre lag der Fokus (oder Schwerpunkt) hier in den USA bei Pelz und Tierversuchen – und die Zahl der jährlich getöteten Tiere schnellte in die Höhe (die Zahl der getöteten Landtiere stieg um viele, viele Milliarden Tiere). In den frühen 1990er Jahren fing Vegan Outreach an, sich dafür einzusetzen, dass wir uns für die 99% der Tiere, die üblicherweise ignoriert wurden, einsetzen sollten – die Tiere, die geschlachtet werden, um gegessen zu werden. Jetzt ist Vegetarismus verbreitet und wächst weiter und Massentierhaltung wird von vielen missbilligt.

 

5) Ich denke das Vegan Outreach Projekt Adopt a College ist einzigartig auf der Welt. Haben Sie irgendwelche Tipps für Menschen, die etwas Ähnliches in ihrem eigenen Land anfangen wollen? In vielen Ländern sind farbige Broschüren nicht gratis oder billig erhältlich und viele Leute haben Angst, dass, viel Geld für den Druck von Flugblättern oder Broschüren auszugeben, nur Geldverschwendung sein könnte.
Viele Aktivisten sind mit den Ergebnissen, die sie im Moment erzielen, unzufrieden aber scheuen davor zurück etwas anderes zu tun als das, das andere Aktivisten gerade tun. Aber es gibt hier in den USA ein Sprichwort: Wenn du ein anderes Ergebnis erzielen willst, musst du etwas anderes versuchen. Mein erster Tipp ist also, den Status Quo, d.h. den „normalerweise“ üblichen Aktivsimus, kritisch zu betrachten, ihn zu hinterfragen. Ein langjähriger Unterstützer von Vegan Outreach schrieb:

„Seit ich 1995 vegan wurde, habe ich schon zehntausende von Vegan Outreach Broschüren verteilt – in bis jetzt zwölf Bundesstaaten. Obwohl ich schon ziemlich schnell damit anfing Material von Vegan Outreach für meinen Aktivismus zu verwenden, hatte ich immer noch das Gefühl, dass Broschüren verteilen allein nicht so effektiv sei wie jedes Wochenende protestieren zu gehen. Ich lag total falsch, besonders wenn miteinrechne, wie viel Zeit ich aufbrachte, um Proteste zu organisieren, um Aktivisten anzurufen, damit sie zu den Protesten kamen, um Schilder herzustellen usw. Vielleicht dachte ich, dass, weil ich so viel Zeit und Mühe da hinein investiert hatte, dass deshalb protestieren effektiver sein müsste als einfach ein oder zwei Stunden lang Broschüren zu verteilen. Ich bin froh, dass Vegan Outreach weiterhin Aktivisten in die richtige Richtung lenkt!“


Wir sollten unsere Optionen abwägen im Bezug darauf, wie viel wir mit diesen Optionen erreichen können – pro Stunde, die wir dafür aufbringen, und in Bezug auf Geld, das wir dafür ausgeben – und nicht im Bezug darauf, was am einfachsten, billigsten und/oder üblichsten ist. Wir müssen uns immer auf das Ergebnis unterm Strich konzentrieren, um so viel Leiden wie möglich zu verhindern. 


 

6) Meiner Erfahrung nach sind die meisten Veganer keine „Aktivisten“. Viele denken vielleicht, dass, aktiv zu versuchen, den Veganismus zu verbreiten, eine erschöpfende Aufopferung wäre und dass es im Endeffekt doch nichts bringen würde. Könnten Sie sich bitte dazu äußern?
Ich würde sagen, sie sollten etwas über die Erfahrungen von anderen Aktivisten lesen und darüber wie viele Leben jeden Tag verändert werden!
Man sehe sich nur mal die Zahlen an:

„Die Umfrage von 2009 der Vegetarian Resource Group schätzt, dass 3,4% der US-amerikanischen Erwachsenen wirkliche Vegetarier sind. Dies ist ein Anstieg von den 2,3% von 2006. Wenn man das auf die ganze Bevölkerung hochrechnet, heißt das mehr als 3,5 Millionen neue Vegetarier zwischen diesen zwei Umfragen.“

 

7) Wenn es das Hauptziel von Vegan Outreach ist, den Konsum von Tierprodukten allgemein zu reduzieren, warum benutzen Sie dann keine gesundheitlichen oder ökologischen Argumente, wie z.B. viele „Meat Free Mondays“-Kampagnen? Wäre das nicht effektiver? Werden die meisten Leute nicht aus gesundheitlichen Gründen Vegetarier? 
Unser Hauptziel ist nicht, den Konsum zu reduzieren, sondern Leiden zu vermindern. Viele Jahrzehnte lang dachten Gruppen und Einzelpersonen, sie könnten andere durch Tricks dazu bewegen, mitfühlende Entscheidungen zu treffen. Aber das „ gesundheitliche Argument“ und verschiedene ökologische Argumente haben dazu geführt, dass viele Leute sich umgestellt haben und statt ein paar große Tiere jetzt viele kleinere Tiere essen, die unter noch schlimmeren Bedingungen gehalten werden, wie z.B. Hühner. Dies hat zu viel mehr Leiden geführt.

Wir konzentrieren uns auf die Tiere, weil sie wichtig sind. Wenn wir das Leiden der Tiere vermindern wollen, ist es notwendig, dass die Leute ihr Leiden erkennen und in Betracht ziehen. Die ethische Begründung für Vegetarismus ist einfach, direkt und unbestreitbar. Ein Vegan Outreach- Mitglied sprach kürzlich vor einer Gruppe von Collegestudenten und berichtete:

„Mein Vortrag war nicht das, was sie erwartet hatten. Viele sagten, das Argument – Leiden von Tieren zu vermindern – hätte keine Lücken oder Schwachstellen und praktisch fragte sich niemand mehr, warum man Tiere nicht essen soll. Viele der Studenten entschieden, etwas über das Thema zu schreiben und sie denken jetzt über die Art ihrer Ernärung nach.“

Wir haben noch mehr Informationen darüber, warum wir uns für diesen Ansatz entscheiden: A Meaningful Life

 

8) Beim Aktivismus von Vegan Outreach erwähnen Sie normalerweise nicht die grundlegendsten Argumente für Veganismus: Egal wie Eier produziert werden, es gibt immer überflüssige männliche Küken – und egal wie Milch produziert wird, gibt es immer erzwungene Schwangerschaften und männliche Kälber, die keine Milch produzieren können. Warum lassen Sie das aus?
Im Interview mit Erik Marcus stellte Jonathan Safran Foer zwei äußerst wichtge Dinge fest:

1) die Menschen zu bitten, einen ersten Schritt zu machen, statt für den letzten Schritt zu werben 2) sich eher für Nützlichkeit statt für Gründlichkeit zu entscheiden.

Diese zwei Dinge sind von zentraler Bedeutung für den Ansatz von Vegan Outreach – nicht unsere eigenen Ansichten rechtfertigen zu wollen oder alle Grausamkeiten zu katalogisieren, sondern so viel wirkliche Veränderung wie möglich zu erreichen, in einer Gesellschaft, wo es selten auch nur hinterfragt wird, wenn jemand in ein Hühnerbein beißt.

„Rechte“, „Veganismus“ und andere menschliche Konstrukte sind irrelevant – das Einzige, das zählt, ist, so viel Leiden wie möglich zu verhindern. Das ist aber nicht etwas, das mir sofort klar wurde.



9) Warum wirbt Vegan Outreach nicht direkt für Tierrechte? Ist dies nicht notwendig, um eine andauernde Veränderung in der Art und Weise, wie wir Tiere sehen und wie wir uns gegenüber ihnen verhalten, herbeizuführen und auch, um zukünftiges Leiden von Tieren zu vermeiden?
Wir versuchen so viele Leute (die nicht vegan sind) wie möglich zu erreichen, da, wo sie in der Gesellschaft sind, so wie die Gesellschaft heute tatsächlich ist. Sehr wenige Menschen werden den Schritt vom Fleischesser zum Tierrechtler machen. Auf der anderen Seite ist eine große Mehrheit der Menschen jetzt schon gegen Grausamkeit gegenüber Tieren, unabhängig von ihrer persönlichen Weltanschauung oder Religion.

Bei unserem Aktivismus geht es, wie gesagt, nicht um den letzten Schritt – es geht um den ersten Schritt. Wie wir wissen, entwickeln sich Menschen mit der Zeit und, wenn wir sie dazu bringen können, den ersten Schritt zu machen, dann bieten unsere Broschüre Guide to Cruelty-Free Eating und unsere Website weitere Informationen und Tipps, die ihnen dabei helfen, mehr zu erfahren und weitere Schritte zu machen.

In ähnlicher Weise verändern sich Gesellschaften mit der Zeit und die optimale Message wird sich ebenso mit der Zeit verändern. Aber im Moment werden sich nur wenige Menschen verändern, wenn sie mit einer völlig fremden Weltanschauung konfrontiert werden. Es gibt viel mehr Menschen, die zu einer Veränderung bereit sind, wenn sie die verborgene Realität der modernen Tierhaltung sehen.

 

10) Meiner Erfahrung nach führt es, wenn wir für Veganismus werben, oft dazu, dass die Leute nur Vegetarier werden. Die Menschen wählen sowieso ihre eigenen Schritte und ihr eigenes Tempo. Warum halten Sie es für notwendig, zu sagen, dass es beim Ablehnen von Grausamkeit gegen Tiere nicht um „alles oder nichts“ geht? Ich bin mir sicher, dass viele Veganer es falsch finden, zu sagen, es sei „OK“ nur „weniger Fleisch, Eier und Milchprodukte zu essen“.
Es ist nicht unser Ziel, alle Grausamkeiten oder Ungerechtigkeiten auf der Welt zu dokumentieren. Wir sagen nicht, was „OK“ oder was „nicht OK“ ist. Wir wollen nicht predigen oder moralische Vorschriften machen. Wir streben nicht an, unsere Sichtweisen zu erklären oder zu rechtfertigen oder Veganismus zu loben.

Zudem ist das Ablehnen von Grausamkeit gegen Tiere schlicht kein Vorhaben, bei dem es um „alles oder nichts“ geht. Niemand ist perfekt – kein Veganer ist „rein“. Jeder verursacht Leiden auf gewisser Ebene und niemand tut sein absolut Bestes, um Leid zu vermeiden oder auszulöschen.


Es ist nicht nur weniger effektiv, so zu tun, als gäbe es eine endgültige Antwort oder eine perfekte Ernährungsweise – sondern es stimmt einfach nicht.

Wie du sagst, entwickeln sich die Menschen mit der Zeit. Unsere Absicht ist es, diese Veränderung einzuleiten, nicht die kompletteste Verteidigung unserer eigenen persönlichen Ansichten zu präsentieren.

Es geht nicht um uns – was wichtig ist, ist die größtmögliche Veränderung für die Tiere. Der Schlüssel ist, zu erkennen, dass nur Fleischesser Tiere vor dem Horror der Massentierhaltung bewahren können, d.h. worauf es ankommt, ist deren Denkweise und Motivation.

Aktivisten von Vegan Outreach haben persönliche Erfahrung mit hunderttausenden von Individuen in den verschiedensten Situationen gesammelt und berichten ständig von Leuten, bei denen das Wort „vegan“ eine reflexartige Reaktion hervorgerufen hat, z.B. „Ich könnte nie vegan leben“ oder „Ich kenne einen Veganer und der ist ein Fanatiker“. Auf diese Weise verschließen sie sich davor, die Message in Betracht zu ziehen und sich irgendwie zu verändern.

Bruce Friedrich, mein Mitautor von The Animal Activist’s Handbook und Vizepräsident von PETA, hat über die Jahre persönliche Erfahrungen mit buchstäblich tausenden von Individuen gesammelt (es ist gut möglich, dass er mehr Gespräche mit Einzelpersonen zum Thema Tierschutz/Tierrechte geführt hat als sonst irgendwer in den USA). Vor kurzem schrieb er:

„Ich denke, das Wort „vegan“ zu verwenden (außer vielleicht bei Jugendlichen) könnte für unseren Aktivismus für Tiere kontraproduktiv sein, verglichen mit dem Wort „vegetarisch“. Menschen tendieren dazu, Angelegenheiten in einer „alles oder nichts“-Art zu betrachten und ich weiß nicht, wie viele Diskussionen ich schon mit Leuten hatte, die sich von vorneherein überhaupt nicht verändern, weil sie glauben, sie könnten nicht vegan werden.

Deshalb trage ich mein „Ask me why I’m vegan“-T-Shirt nicht mehr – ich trage jetzt die mit „Ask me why I’m vegetarian“ und die Gespräche sind jetzt VIEL BESSER. Während es früher immer darum ging, was „vegan“ bedeutet und wie schwierig es ist, Milchprodukte aufzugeben (was 1/10 von einem Tier pro Jahr rettet), reden wir jetzt über Fische und Hühner (und retten dabei dutzendweise Tiere pro Jahr). Ich habe früher immer Geschichten gehört über mürrische und aggressive Veganer – jetzt höre ich Geschichten über vegetarische Töchter und Cousins.

Das sind natürlich Einzelberichte aber es ist keine rein theoretische Spekulation – das sind echte Erfahrungen und es ist überwältigend. Viel mehr Menschen reagieren jetzt auf mein T-Shirt und sprechen mich an und fragen mich Sachen. Vorher redete ich normalerweise davon, was „vegan“ bedeutet, und über die schlimmen Auswirkungen des Milchkonsums (das ist natürlich immer noch gut, aber nicht annähernd so nützlich, um Tieren zu helfen). Jetzt gibt es oft Leute, die mir – aufgrund eines Gesprächs – sagen, dass sie Vegetarier werden.

Meine lange Erfahrung zeigt, dass das Wort „vegan“ viele Leute abschreckt aber das Wort „vegetarisch“ sie interessiert (wir sehen das auch in ganz überwältigender Weise beim Flugblätterverteilen – die Leute wollen Information über Vegetarismus viel häufiger als über Veganismus). Ich wette, dass wir ironischerweise viel weniger neue Veganer „hervorbringen“, wenn wir das Wort „vegan“ verwenden, da viele Vegetarier vegan werden, wenn sie einmal sehen, wie einfach es ist, und sich mehr mit einer mitfühlenden Ernährungsweise beschäftigen.“


Vegan Outreach geht es um Ergebnisse, nicht um Theorie oder darum zu sagen, was falsch ist oder welche Worte Philosphen bevorzugen, sondern darum, was die Erfahrung zeigt, wo Psychologen und Marketing-Experten herausgefunden haben, dass es funktioniert. Das Entscheidende ist einfach: mehr Veränderung und weniger Tiere, die leiden.