Interview mit Ginny Messina (deutsch)

English   español   (Februar 2011)

Virginia („Ginny“) Kisch Messina ist Ernährungswissenschaftlerin aus den USA und ist spezialisiert auf vegane Ernährung. Sie ist Mitautorin verschiedener Bücher zum Thema vegane Ernährung (u.a. Vegan for Life) und einiger Positionspapiere der American Dietetic Association zu vegetarischen Ernährungsformen. Sie hat mehr als 20 Jahre Erfahrung als Ernährungswissenschaftlerin und ist seit 15 Jahren auf vegetarische Ernährung spezialisiert.

Seit wann sind Sie vegan und was hat Sie dazu veranlasst, vegan zu werden?

Ich wurde Schritt für Schritt vegan. Ich habe ungefähr vor 25 Jahren aufgehört Fleisch zu essen, weil ich fand, dass es moralisch falsch ist Tiere für Nahrungsmittel zu töten, die ich nicht benötigte. 1989 arbeitete ich für PMRC (Physicians Committee for Responsible Medicine), eine Nonprofit-Organisation, die eine vegane Ernährungsweise empfiehlt. Ich fing an Bücher und Artikel darüber zu lesen, wie Tiere, die für Fleisch, Milchprodukte und Eier gezüchtet und gehalten werden, behandelt werden. Das Ergebnis war, dass ich Milchprodukte und dann schließlich auch Eier aus meiner Ernährung gestrichen habe. Über die Jahre habe ich weiterhin immer mehr Tierprodukte, wie Leder, Wolle und Seide, aus meinem Leben entfernt.

Sie haben schon viel über Ex-Veganer geschrieben. Was, glauben Sie, sind die Hauptgründe dafür, dass manche Menschen aufhören, vegan zu leben. Und bei denjenigen, die Veganismus aus gesundheitlichen Gründen aufgeben, sehen Sie da ein Muster, warum sich diese Leute generell mit einer veganen Ernährung nicht gesund fühlen?
Es kann bei jeder Ernährungsweise zu Nährstoffmängeln kommen. Aber sich vegan zu ernähren, wird immer noch als eine ungewöhnliche Art zu essen angesehen – und wenn dann jemand als Veganer an einem Mangel erleidet, nimmt diese Person vielleicht an, dass Veganismus generell ungesund sei. Anstatt nach Wegen zu suchen, ihre vegane Ernährung ausgewogener zu machen, kehren sie zum Fleischessen zurück. Es gibt keine Studien über die Ernährungsweisen von Ex-Veganern. Also können wir nicht sicher sagen, was bei den meisten falsch läuft. Aber viele, die meinen, sie hätten die denkbar gesündeste vegane Ernährungsweise, nehmen in Wirklichkeit nicht ausreichend Vitamin-B12-Supplemente zu sich oder sorgen nicht für eine optimale Eisenzufuhr. Es ist auch möglich, dass sie zu wenig Protein oder Fett haben in ihrer Ernährung haben.


Sie sagen sehr deutlich, dass die vegane Bewegung wirklich richtige Informationen über vegane Ernährung braucht; und Sie haben geschrieben, dass es tatsächlich kein gesundheitliches Argument für Veganismus gäbe. Aber würden Sie sagen, dass eine vollwertige Ernährung auf pflanzlicher Basis (hauptsächlich oder komplett vegan) definitive gesundheitliche Vorteile mit sich bringt? Ich frage das, weil ich persönlich relativ viele Leute kenne, die schon lange vegan leben und deutlich jünger aussehen als sie sind; und ich finde, dass wenn es gesundheitliche Vorteile gibt, dass wir diese dann auch erwähnen sollten.
Ich denke, mehr pflanzliche und weniger tierische Nahrungsmittel zu essen, hat viele Vorteile. Und bei Menschen, die sich von einer typisch westlichen Ernährungweise, einschließlich vieler fettreicher Fleisch- und Milchprodukte, auf eine vegane Ernährung umstellen, ist es wahrscheinlich, dass sich ihre Gesundheit verbessern wird. Ich stimme dir zu, dass es gut ist, die Leute das wissen zu lassen. Allerdings haben wir keinen Beweis dafür, dass Menschen die sich 100% vegan ernähren, gesünder sind als die, die sich sich omnivor aber mit nur beschränkt tierischen Fetten und mit viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukten ernähren. So gesehen können wir also den Leuten – ganz ehrlich – nicht sagen, dass eine vegane Ernährungsweise die einzige, allerbeste und gesündeste Ernährungsform oder die einzig wirklich gesunde Art zu essen sei. Um das zu sagen, müssen wir im Endeffekt die Vorteile des Veganismus übertreiben – und ich glaube nicht, dass das auf lange Sicht gut funktioniert.


Wir können den Leuten also sagen, dass vegan zu werden ihre Gesundheit wahrscheinlich verbessern wird. Aber wir können nicht sagen, dass das ein einzigartiger Vorteil von Veganismus ist. Deshalb glaube ich nicht, dass das Gesundheits-Argument in Bezug auf den Versuch, den Veganismus zu verbreiten, besonders gut funktioniert. Es funktioniert allerdings schon als Argument für eine Ernährung auf pflanzlicher Basis.


Dr. Michael Greger, Jack Norris and Sie haben alle von Rohkost als Ernährungsweise abgeraten. Ich habe mich selber ein paar Jahre komplett von veganer Rohkost ernährt und bekam schließlich ernsthafte gesundheitliche Probleme. Ich hatte kein medizinisches oder ernährungswissenschaftliches Wissen und ließ mich (von charismatischen Rohkost-Befürwortern) leicht durch die Argumente für eine 100% rohe, „natürliche“ Ernährung überzeugen. Leider scheine ich keine seltene Ausnahme zu sein. Es scheint vielmehr, dass viele Veganer an Rohkosternährung interessiert sind oder Rohköstler werden wollen und dass es recht weit verbreitet ist, dass Rohkost als der „nächste logische Schritt“ nach dem Veganismus angesehen wird. Könnten Sie uns Ihre Meinung zu veganer Rohkost sagen?

Ich denke, dass Rohkosternährungsweisen für Erwachsene bezüglich der Nährstoffe ausreichend sein können, obwohl gute Planung notwendig ist. Sie können auch zum Gewichtverlieren nützlich sein. Es gibt ein paar Nachteile einer Rohkosternährung, weil einige Nährstoffe besser aus gekochter Nahrung aufgenommen werden können.

Aber ich habe keine Einwände gegen eine Ernährung, die hauptsächlich aus Rohkost besteht, obwohl ich nicht denke, dass diese Art der Ernährung irgendwelche gesundheitlichen Vorteile hat.


Allerdings würde ich es gerne sehen, dass wir Rohkosternährungsweisen und Veganismus separat sehen. Veganismus ist eine Entscheidung, die auf einer Moralvorstellung von Gerechtigkeit für Tiere basiert. Rohkost ist eine Ernährungsweise, die auf (unbewiesenen) Meinungen zum Thema Gesundheit basiert. Wer sagt, Rohköstler zu werden sei der „nächste logische Schritt“ nach dem Veganismus, spricht praktisch von etwas, das nichts damit zu tun hat, den Menschen zu helfen, eine Lebensweise anzunehmen, die die Rechte von Tieren mit in Betracht zieht. Diese Vorstellung wirbt auch für eine Ernährungsweise, die eventuell nicht für Kinder oder ältere Menschen geeignet ist. Wir müssen Veganismus auf eine Art präsentieren und bewerben, so dass er für alle geeignet ist.


Könnten Sie uns eine kurze Beschreibung von Omega-3-Fettsäuren geben? Was sind ein paar grundlegende Sachen, die wir wissen sollten? Und was ist der Unterschied zwischen kurz- und langkettigen Omega-3-Fettsäuren?

Die kurzkettige Omega-3-Fettsäure alpha-Linolensäure ist eine essentielle Fettsäure. Das ist das Fett, das in Leinsamen, Rapsöl, Hanfsamen, Walnüssen und Sojaprodukten vorkommt; und jeder braucht eine gewisse Menge davon in seiner Ernährung.

Die langkettigen Omega-3-Fettsäuren, DHA und EPA, kommen hauptsächlich in fettreichem Fisch vor. Während diese anscheinend gesundheitliche Vorteile bringen, wissen wir nicht wie wichtig diese Vorteile für Veganer sind. Die meisten Veganer ernähren sich schon so, dass sie ein niedrigeres Risiko für Herzkrankheiten haben. Wir wissen nicht, ob das Hinzufügen von DHA und EPA deren Risiko sogar noch weiter senken würde, weil es dazu keine Studien gibt.


Der Körper kann ALA in DHA und EPA umwandeln. Aber diese Umwandlung scheint nicht sehr effizient zu sein, so dass wir uns wahrscheinlich nicht darauf verlassen sollten. Deshalb ist es eventuell eine gute Idee für Veganer, ein paar mal pro Woche ein Supplement mit kleineren Mengen DHA (oder DHA und EPA kombiniert) zu nehmen. Supplemente mit ca. 200 bis 300 Mikrogramm sollten ausreichen. Es gibt Supplemente, die aus Algen hergestellt werden und 100% vegan sind.


Sie haben kürzlich eine Liste mit für Veganer empfohlenen Supplementen zusammengestellt. Wir sollten alle sicherstellen, dass wir genug Vitamin B12, Vitamin D, Jod, Calcium und Eisen bekommen (und eventuell ein DHA-Supplement nehmen). Könnten Sie uns, zum Vergleich, sagen, was „normale“ Quellen für diese Nährstoffe für Allesesser wären und was „normale“ Quellen (einschließlich Supplementen) für Veganer wären?

Das ist eine gute Frage, die etwas Durchblick verschafft bzgl. der Unterschiede zwischen veganen und nicht-veganen Quellen. Hier ist eine Tabelle, in der diese Optionen verglichen werden, mit ein paar Kommentaren zur Bedeutung dieser Unterschiede.



Übliche Quellen für Allesesser
Übliche Quellen für Veganer
Ein paar Bemerkungen
Vitamin B12
Tierprodukte und angereicherte Lebensmittel
Angereicherte Lebensmittel und Supplemente
Obwohl Allesesser mehr „natürliche“ Vitamin-B12-Quellen in ihrer Ernährung haben, decken über 50-Jährige eventuell ihren Bedarf an diesem Vitamin nicht, außer sie konsumieren Supplemente oder angereicherte Lebensmittel.
Das ist so, weil die Fähigkeit, B12 aus der Nahrung aufzunehmen, bei vielen mit dem Älterwerden nachlässt. In diesem Sinne können wir sagen, dass angereicherte Lebensmittel und Supplemente wirklich die „besten“ Vitamin-B12-Quellen sind.
Vitamin D
Angereicherte Lebensmittel (wie Kuhmilch), einige Fischarten, Supplemente, Sonnenschein
Angereicherte Lebensmittel (wie Sojamilch), Supplemente, Sonnenschein
Obwohl Allesesser Vitamin D durch bestimmte Fischarten aufnehmen können, bekommen es die meisten aus angereicherten Lebensmitteln und durch Sonnenschein.
Jod
Milchprodukte, Fisch, Jodsalz
Algen, Jodsalz, Supplemente
Milchprodukte sind eine reichliche Quelle für Jod bei omnivorer Ernährung, aber nur weil Milch damit verunreiningt ist (durch die Lösung, mit der die Geräte auf Milchfarmen gereinigt werden). Milch ist keine natürliche Quelle. Jodsalz ist die beste Jodquelle für Amerikaner. Aber in vielen Ländern wird Salz kein Jod zugefügt.
Calcium
Milchprodukte, grünes Blattgemüse, angereicherte Lebensmittel, Supplemente
Grünes Blattgemüse, angereicherte Lebensmittel, Supplemente

Eisen
Fleisch, angereichertes Getreide, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Gemüse, Supplemente
Angereichertes Getreide, Vollkornprdukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Gemüse, Supplemente
Es ist interessant, dass vegane Ernährungsweisen anscheinend mehr Eisen enthalten als Ernährungsweisen mit Fleisch und Milchprodukten—teilweise weil Milchprodukte kein Eisen enthalten und an Stelle von eisenreichen Lebensmitteln verzehrt werden. Aber Veganer müssen sicherstellen, dass sie die Aufnahme dieses Mineralstoffs maximieren.
DHA/EPA
Fettreicher Fisch, Supplemente aus Fischöl
Supplemente aus Algen
Fettreicher Fisch kann eine gute Quelle für diese Omega-3-Fette darstellen. Aber viele Allesesser nehmen Fischöl-Supplemente.

Frühe Veganer wie die Gründer der Vegan Society hatten Bedenken, ob sie mit einer veganen Ernährung gesund bleiben könnten; und von Anfang an fand die vegane Bewegung es natürlich notwendig, zu beweisen, dass eine vegane Ernährung sicher und gesund ist. Ich denke, dass daher vielleicht die Theorie stammt, dass eine vegane Ernährung die natürliche Ernährungsweise des Menschen sei, dass der menschliche Körper so angepasst ist, dass er ausschließlich pflanzliche Nahrung gut verdauen kann und dass deswegen eine vegane Ernährung am allergesündesten sein müsste. Was halten sie von der Theorie einer „natürlichen Ernährungsweise“?
Ich bin keine Expertin auf dem Gebiet der Evolution der menschlichen Ernährung. Aber ich denke, die Beweise sind ziemlich stark, dass die Menschheit während ihrer Entwicklung gewisse Mengen Fleisch gegessen hat. Ich bin aber nicht sicher, dass es irgendsoetwas wie die eine „natürliche“ Ernährung des Menschen gibt oder dass wir, selbst wenn wir das wollten, die Möglichkeit hätten, uns wie unsere prähistorischen Vorfahren zu ernähren. Wir haben nicht einmal mehr Zugang zu den gleichen Nahrungsmitteln. Ich denke, dass wir uns darauf konzentrieren sollten, dass eine vegane Ernährung unsere Gesundheit aufrechterhalten kann. Wir müssen daher also keine tierischen Produkte essen; und wenn wir sie nicht notwendigerweise brauchen, dann haben wir sicher kein Recht, Tiere auf diese Weise zu benutzen.

Sie haben auch über die Unschädlichkeit von Sojaprodukten geschrieben. Sie haben bestätigt, dass zwei Portionen Sojaprodukte pro Tag völlig harmlos sind. Aber ich bin sicher, es gibt viele Veganer, die viel mehr Soja als das essen, z.B. Bodybuilder oder Sportler, die eventuell viel Tofu oder Tempeh essen. Oder Leute, die früher viel Milch tranken, trinken als Veganer eventuell weiterhin viel Sojamilch. Würden Sie empfehlen, dass wir unseren Konsum von Soja irgendwie einschränken? Und gibt es irgendwelche Sojaprodukte (z.B. isoliertes Sojaprotein), deren Konsum wir definitiv auf ein Minimum beschränken sollten?
In Ländern, wo Soja typischerweise konsumiert wird—wie Japan—ist der durchschnittliche Verzehr ca. 1 ½ Portionen pro Tag. Aber in ganz Asien essen manche Menschen deutlich mehr als das. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass für die, die generell viel essen (wie z.B. Sportler), bis zu vier Portionen pro Tag ungesund wären. Aber es ist nie besonders gut, für einen so großen Anteil der Ernährung auf nur ein einziges Lebensmittel angewiesen zu sein. Ich empfehle generell gerne bis zu 3 Portionen Soja pro Tag als vernünftige Menge in einer gut ausgewogenen Ernährung.
Und es ist gut, wenn der Großteil des Sojas in deiner Ernärhung aus traditionellen Nahrungsmitteln wie Tofu, Sojamilch und Tempeh stammt. Aber ich esse schon auch ein paar Nahrungsmittel, die aus isoliertem Sojaprotein hergestellt sind und weiß von keinen schädlichen Auswirkungen, die das haben könnte.

Sie haben sich auch gegen sehr fettarme oder vegane Ernährungsweisen „ohne Öl“ ausgesprochen. Könnten Sie erklären warum und welche Arten von Fetten wir in unsere Ernährung mit einbauen sollten?
Pflanzenöle sind sicher nicht notwendig in der Ernährung. Aber es ist nicht schädlich, wenn man kleine Mengen dieser zusätzlichen Fette verwendet. Es ist wichtig, ein paar fettreiche Lebensmittel in der Ernährung zu haben, weil sie gesundheitliche Vorteile mit sich bringen und die Aufnahme von einigen Nährstoffen verbessern. Es ist empfehlenswert täglich ein oder zwei Portionen Nüsse zu essen, außer man ist allergisch. Es gibt einige Studien, die den Konsum von Nüssen mit verbesserter Herzgesundheit in Verbindung bringen. Sie sind auch generell eine gute Nährstoffquelle, besonders für vegane Kinder. Avocados sind ein weiteres gesundes, fettreiches Lebensmittel. Für die, die gerne etwas Öl für Salate oder zum sautieren von Gemüse verwenden, empfehle ich kaltgepresstes Olivenöl. Rapsöl ist auch gut.

Würden Sie gerne noch etwas hinzufügen?
Es scheint, dass du die wichtigsten Fragen bzgl. veganer Ernährung abgedeckt hast. Das Wichtigste, das man sich merken sollte, ist, dass Veganer, genau wie alle anderen auch, auf Nahrungsmittelauswahl und Nährstoffzufuhr achten müssen. Aber, wenn man einmal das Grundlegendste weiß, ist es nicht schwierig. Wenn man sehr einschränkende Ernährungsweisen wie Rohkost oder „fettfreie“ Ernährung vermeidet, ist es einfacher, alle Nährstoffbedürfnisse zu decken; und es macht vegane Ernährung für die meisten Menschen auch realistischer. So konzentrieren wir uns auch darauf, worum es beim Veganismus wirklich geht—Gerechtigkeit für Tiere.